Ferien auf dem Trampolin
Es muss nicht stets ein Dickschiff sein. Wer es rasanter mag, reist per Sportkat
Das Wasser klatscht kräftig ins Gesicht. Die Vorschoterin stößt im Trapez hängend spitze Schreie des Entzückens aus. Der Hobie Cat springt von Welle zu Welle. In Rauschefahrt geht es kreuz und quer über das Achterwasser, das schmale Seerevier nahe der polnischen Grenze zwischen der Küste Vorpommerns und der davor liegenden, lang gestreckten Insel Usedom. Das ist Charterurlaub wirklich einmal anders.
Es muss schließlich nicht immer die klassische 30-Fuß-Yacht sein, um den Segelhunger zu stillen. Alternativen gibt es reichlich. Dabei gilt: Je kleiner das Boot, desto intensiver das Erlebnis. Im Gegenzug verzichtet man allerdings auf gewohnten Komfort. Das fällt sicher nicht jedem leicht. Vor allem dann nicht, wenn die kuschelige Segeljacke dem engen Nassbiber weichen soll und wenn statt der bequemen Leder-Bootsschuhe klamme Neoprenstiefel zum Einsatz kommen.
Noch härter wird es bei der Zusammenstellung des Gepäcks. Weniger ist mehr und Verzicht ist alles, lautet die Devise für einen längeren Törn, der auch Übernachtungen mit einschließt. Gewicht verdirbt den Segelspaß. Andererseits, wer die harte Prüfung besteht, wird eine interessante Wandlung an sich feststellen: Wenn die pünktliche Bodypflege und das warme Mittagessen nicht mehr im Mittelpunkt des Alltags stehen, scheint der Körper ein sehr intensives Stadium der Erholung zu erreichen. Im gleichen Maße, wie die 20-Uhr-Nachrichten und die aktuellen Verkehrsmeldungen an Wichtigkeit verlieren, gewinnt das Leben in der freien Natur an Bedeutung. Da mag es regnen oder stürmen, man empfindet es als nicht so schlimm. Im Gegenteil, eine Art Genuss stellt sich ein. Ganz so, als habe man sich tief im Innersten lange schon danach gesehnt, der Wildnis da draußen einmal nahe zu sein.
Die kleinen Flitzer wecken den Spaß am Segeln jeden Tag neu
Für solche Erlebnisreisen im doppelten Wortsinn sind Strandkats bestens geeignet. Mit ihnen lassen sich die ausgetretenen Pfade des Wassertourismus gut umgehen. Ein einsames Plätzchen am Strand fürs Nachtlager findet sich immer. Da wird nur rasch das Iglu-Zelt auf dem Trampolin aufgeschlagen, und fertig ist die Herberge. Das wenige Hab und Gut ist in wasserdichten Säcken auf dem Boot festgelascht.
Wer diese, zugegeben, vielleicht etwas freakig anmutende Chartermöglichkeit zunächst ausprobieren will, kann einen Schnupperkurs buchen. Einer der wenigen Anbieter hierzulande ist das Wassersportcamp am Peenestrom auf Usedom. Dort unterhält Michael Hahn eine Strandkat-Flotte und stellt Unterkünfte in den einfachen Holzhütten eines ehemaligen DDR-Jugendlagers. Der Vorteil dieses Stützpunktes: Man kann den Verzicht auf Zivilisation und Komfort wohl dosieren. Spielt das Wetter nicht mit, werden eben nur Tagestouren unternommen.
Der Reiz des Reviers ist seine Abgeschiedenheit. Das Camp liegt auf einem scheinbar vergessenen Stückchen Erde südöstlich von Wolgast. Hier ticken die Uhren noch im Gleichklang mit der Natur. Seeadler mit 2,60 Meter Spannweite lassen sich von den Aufwinden am Bauerberg empor tragen. Der rote Milan kreist über seiner Beute, in der Nacht trampeln Wildschweine lautstark durchs Gehölz, ein Specht verrichtet ohrenbetäubend seine Arbeit, und manchmal fallen sogar Fische aus der Luft. Dann, wenn Krähen im Luftkampf dem Fischadler seine Beute abjagen. Der Reisende kommt sich vor wie auf einer Fahrt durch den Wildpark.
Auch die Menschen, die am Achterwasser wohnen, leben oft noch im Einklang mit der Natur. Die Einfahrt in den Hafen von Fischer Thoralf mutet an wie eine Zeitreise. Es ist eine andere, eine fast verwunschene Welt, die sich da auftut. Reetdachhäuser stehen im Wasser, Netze sind zum Trocknen gespannt, und alte Fischerkähne ruckeln an ihren Festmachern. „Wir fischen nur so viel, wie wir zum Leben brauchen", sagt Thoralf. Der bärtige, breitschultrige Mann sieht aus, als würde er ständig in den Kraftraum gehen. Dabei hat ihn der tägliche Kampf mit Lachsen und Hechten gestählt. Schwungvoll stellt er einen Eimer mit frischem Fisch auf dem Trampolin des kleinen Kats ab - das Abendessen am Lagerfeuer ist gesichert.
Bei schwachem Wind gerät die Reise fast schon zur Entspannungskur. Gesegelt wird im Liegen in Kuschelstellung. Die Stille berauscht. Nur das Gurgeln des Wassers am Heck ist zu hören. Es tröpfelt leicht, aber das stört nicht. Die vorbeiziehende Landschaft wirkt beruhigend. Sanfte Hügel, sattes Grün und gelbe Rapsfelder. Reiher haben sich auf den zahlreichen Reusenanlagen postiert und konzentrieren sich auf ihre Beute. Im Slalom geht es um die Fischertonnen, die jeweils in Dreierpacks zusammen liegen.
Es muss aber nicht nur ursprünglich sein. Im Osten von Achterwasser und Peenestrom begrenzt Usedom das Revier. Die Insel galt zu DDR-Zeiten als das Sylt des Ostens. Der Kontrast könnte größer nicht sein, wenn nach einem Neun-Meilen-Törn das Städtchen Loddin und Kiki's Bootshaus vor den Schwimmern auftauchen. Im Hafen treibt ein überdimensionaler Tretboot- Schwan neben, einem Miet-470er, der einmal Goldmedaillengewinnerjochen Schumann gehört haben soll. Der hat diese Klasse allerdings nie gesegelt. An Land kommt eine Open-Air-Theke in Sicht, die aus der Karibik importiert zu sein scheint. Das ist entschieden zu viel Zivilisation. Einige hundert Meter weiter findet sich hinter einer Ecke doch noch ein abgeschiedeneres Plätzchen für die Doppelrümpfe. Ruck, zuck steht das Zelt, und der Trockenanzug weicht Pulli und Jeans.
Der Kartuschenkocher muss diesmal nicht aus den Tiefen der Packtaschen hervorgekramt werden. Vercharterer Michael Hahn trifft per Auto mit einer Ladung Sushi an der Anlandestelle ein. Früher hat er auch betreute Touren angeboten, bei denen er selbst mitsegelte. Seit kurzem beschränkt er sich aber auf die externe Betreuung seiner Segelkunden. Es ist ein gutes Gefühl, nicht vollkommen auf sich allein gestellt zu sein. Gerade wenn das Achterwasser von einem steifen Westwind aufgewühlt wird, machen Mensch oder Material schon mal schlapp. Da ist ein wenig Unterstützung willkommen.
Auf Usedom grüßen die Einheimischen übrigens noch. Die Insel ist bei Urlaubern aus nah und fern äußerst beliebt. Die Mischung aus Reetdachhäusern und viktorianischen Bauten lockt sie in Scharen. Wie auch der 42 Kilometer lange Sandstrand, der in Europa seinesgleichen sucht. Natur suchen die Besucher hier allerdings nicht. Eher den Seniorenteller „Hähnchen mit Mischgemüse und Salzkartoffeln", der zum Standard der örtlichen Gastronomie gehört - und sicher auch die besten Absatzchancen hat.
Im Gegensatz dazu steht das Leben auf dem Hobie-Trampolin. Das ist zwar nicht gerade bequem, dafür aber ungeheuer romantisch. Die Wellen, die sanft den Strand heraufbranden, und die im Wind rauschenden Schilfgräser sorgen für optimale Einschlafbedingungen. Und Schlaf ist bitter nötig. Denn wenn am nächsten Tag wieder sechs Windstärken über das Flachwasserrevier fegen und das Adrenalin durch die Adern jagt, darf es an frischer Kraft nicht fehlen.
Carsten Kemmling
Anbieter:
Wassersportcamp am Peenestrom/
Usedom, Telefon 0172/303 03 39;
CAT. Sportreisen Hinnemann (Frankreich,
Mauritius), Telefon 02081/98310;
Sail & Surf Rügen, Tel. 038306/75428;
Stickl Sport Camps (Karibik),
Telefon 089/60 87 5538;
Wet 4 Fun (Balearen),
Telefon 0034/971/32 20 42.
YACHT-CHARTER 2003